45. Sächsische Chor- und Instrumentalwoche Datum: 18. bis 27. Juli 2014 Ort: Hohenstein-Ernstthal Leitung: Georg Christoph Sandmann und Katharina Reibiger Assistenz: Michelle Bernard Konzerte: Gersdorf und Dresden |
Bericht
In diesem Jahr standen mit der 1. Sinfonie von Jean Sibelius ein großes Instrumentalwerk und mit verschiedenen Kantaten kleinere, anspruchsvolle Chorwerke auf dem Programm; aber wie bereits 2009 kein gemeinsames Werk für Chor und Orchester. Dadurch war es logistisch leichter möglich, die obligatorischen Proben an getrennten Orten durchzuführen: die Instrumentalisten übten in der Gersdorfer Kirche, die Choristen probten wie bisher im Gästehaus. Diese Musikwoche hielt darüber hinaus weitere Neuerungen bereit:
Das begann schon mit der Ankündigung, dass in diesem Jahr zur fakultativen Entspannung „Atem- und Körperübungen“ vor dem Frühstück und nach dem Mittagbrot angeboten werden, wofür die Organisatoren „mit Andrea Bock eine erfahrene und sympathische Kursleiterin gewinnen konnten.“ Das Angebot wurde von vielen von uns sehr gern angenommen. Gibt es doch kaum einen Geiger, der nicht über Schulterbeschwerden oder Armschmerzen klagt, oder einen Sänger ohne Blockierungen in der Wirbelsäule. Vielen Dank, Andrea!
Obgleich gleichfalls im Einladungsschreiben auf die Umstellung der Konzertkleidung auf schwarz mit rotem Tuch (Damen) bzw. schwarzes Hemd mit roter Krawatte (Herren) hingewiesen wurde, fanden mitgebrachte rote Reserveschlipse reißenden Absatz, zudem stieg der Verkauf an schwarzen Hemden und rötlichen Schlipsen in Hohenstein-Ernstthal während dieser Woche sprunghaft hat. Es schien so, dass nur Männer dies überlesen hatten, aber nicht nur Junggesellen. Das Thema wäre eigentlich einer Bachelorarbeit wert.
Die fakultativen täglichen Morgenandachten gestaltete erstmals Michael Martin, er lehnte sich in der Struktur wieder mehr an der Gottesdienstordnung an und verließ die Gregorianik der vergangenen Jahre, thematisch konzentrierte er die Andachten rund um das "Vater unser".
Der angekündigte Wechsel des Dresdner Konzertortes von der Lukaskirche zur Martin-Luther-Kirche in Dresden-Neustadt löste Neugierde aus. Zudem eröffnete sich damit die Möglichkeit, die Musikwoche im Neustädter Stadtteilhaus neben der Martin-Luther-Kirche beim gemeinsamen Abendbrot ausklingen zu lassen.
Das Bewährte überwog auch in diesem Jahr: Empfang wieder im Gästehaus des „Bethlehemheimes“, Unterbringung oft in demselben Zimmer wie im vergangenen Jahr. Wiedersehensumärmelungen vor, während und nach dem Abendbrot. Auch mit den Neuen gab es schnell einen vertrauten Umgang, Musiker sind halt nette, unkomplizierte, vertrauensselige Leute. Und so erlebten wir dann nach dem Abendbrot die schnellste Vorstellungsrunde aller Musikwochen, garniert durch Rainers Vorschusslorbeeren auf unsere beginnende Woche. Und dann ging es mit der Chorprobe für den Sonntagsgottesdienst gleich zur Sache, der Schütz-Psalm 117 eignete sich dann modifiziert gleich hervorragend für ein Loblied auf die Chorleiterin beim Bunten Abend. Die Waldhausbewohner hatten ein Privileg: Als letzte Bewohner vor der Sanierung durften sie sich wie zu Hause benehmen.
Der Tagesablauf war uns bereits bestens vertraut: 8 Uhr Frühstück - 8.50 Uhr Andacht - 9.30 Uhr Probe - 12.15 Uhr Mittag - 15 Uhr Probe - 18.15 Abendbrot - 19.30 Uhr Probe - ab 21 Uhr Musizieren, Lagerfeuer, Klönen - 8 Uhr Frühstück – 8.50 Andacht - usw.. Wer wollte, konnte nachts auch zwischendurch schlafen. Und trotzdem schaute ich mehrmals täglich auf den Tagesplan, zum einen ist die Vergesslichkeit für solche Nebensächlichkeiten während der Woche erschreckend, zum anderen hätte es ja unerwartete Änderungen geben können, was dann tatsächlich auch einmal eintrat.
Während sich das Orchester in diesen Tagen nur mit einem einzigen Komponisten auseinanderzusetzen hatte - mit dem Finnen Jean Sibelius, konnte dem Chor zugemutet werden, den Intentionen von fünf verschiedenen Komponisten nachzuspüren - denen des Oberpfälzers und Katholiken Max Reger, des Franken und Evangelischen Hugo Distler, des Deutschungarn und Reformierten Zsolt Gardonyi, sowie der katholisch inspirierten Franzosen Cesar Frank und Maurice Duruflé. Diese Herausforderung für den Chor animierte einige hervorragende Instrumentalisten, zusätzlich auch im Chor mitzusingen. Der Chor nahm dies dankbar an, vor allem die Verstärkung von Matthew im Bass.
Zugegebenermaßen wird die Interpretationsarbeit der Chorsänger dadurch erleichtert, dass die verschiedenen Komponisten ihren Tonschöpfungen immer selbsterklärende Texte zugrunde gelegt hatten. Da hatten es in den Proben die Orchestermusiker schwerer, die Wirkungsabsichten von Sibelius mit seiner Sinfonie allein aus deren Klang, aus der Melodiefolge und aus dem Rhythmus herauszuspüren. Zum besseren Verständnis hatte Christoph Sandmann in den Orchesterproben fortwährend sein umfangreiches Wissen zum Leben, zum Werdegang und zum Schaffen des Komponisten vermittelt. In jedem Konzert gab er auch den Zuhörern eine kurze Einführung zur Ausbildung von Sibelius im 19. Jahrhundert in Helsinki, Berlin und Wien, über sein Zusammentreffen mit dem damaligen Stardirigenten von Bülow, dem großen Bruckner und dem Stargeiger Joachim, über sein kompositorisches Schaffen in seiner finnischen Heimat, als es noch ein Großfürstentum von Russland war. Das Wissen um den damaligen Zeitgeist erleichterte auch den Zuhörern den Zugang zu diesem gewaltigen Instrumentalwerk. Mit Freude habe ich auch dieses Jahr im Konzert unter den erwachsenen Streichern, Bläsern und Schlagwerkern wieder engagierte Jugendliche erlebt, welche mit ihrem Instrument erstmals in einer solch großen sinfonischen Orchesterbesetzung mitwirkten. Nach Johann am Cello (14) im letzten Jahr waren in diesem Jahr Charlotte am Cello (15) und Johann Markus am Kontrabass (15) die Debütanten. Die Probenarbeit war wieder recht anstrengend, weil Christoph an seinen hohen Ansprüchen für die werkgetreue Wiedergabe festhielt. Das Konzertergebnis gab ihm wieder recht, zumal die Spielfreude darunter keinesfalls gelitten hatte. Es ist immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich Zuhörende und Ausführende ein Konzert empfinden. Ich meinte zwischen einer Probe und den beiden Konzerten deutliche Steigerungen in der Intensität der Wiedergabe, in der Wirkung der Sinfonie empfunden zu haben; Mitwirkende empfanden es anscheinend anders. Nun ist die Empfindung eines Zuhörers immer subjektiv, abhängig auch vom Raum, von der eigenen Stimmung. Die miterlebten Konzerte waren aber immer emotional viel anregender als jede noch so gut konservierte Konzertwiedergabe. Umso schöner wäre es, wenn wir trotz der Ferienzeit noch mehr junge Zuhörer hätten.
Die Familienfreundlichkeit unserer Musikwoche konnte jeder vor allem beim gemeinsamen Essen im Speisesaal beobachten. Wer es von den Jüngeren schon kann, singt oder spielt mit. Von Victoria war dies mit ihren vier Monaten aber noch nicht zu erwarten. Katharina Reibiger ließ es sich trotzdem nicht nehmen, in ihrer Elternzeit wieder die Chorleitung zu übernehmen. Dafür übernahm der Vater Christian neben seiner Basspartie befristet die Rolle des Hausmannes. Evelyn, Nathanael, Constantin und Dominik vervollständigten die Gruppe der hoffnungsweckenden Noch-nicht-Mitwirkenden, welche wieder von Uta betreut wurde und ihren Eröffnungsbeitrag zum Bunten Abend leistete.
Beide Konzerte begannen mit einer Orgelsonate von Mendelssohn-Bartholdy. Die Solistin, Johanna Schulze, war uns durch ihre Schwester und langjährige Mitgeigerin Alwine von vornherein vertraut. Alwine unterstützte ihre Schwester auf der Orgelempore bei der nachfolgenden Begleitung des Chores als alter ego von der im Altarraum dirigierenden Katharina Reibiger. Für die drei war es eine große Leistung, trotz der Weite der Kirchenschiffe Chor und Orgel zusammengehalten zu haben. Die Disziplinierung der Chorsänger war dabei wahrscheinlich die größere Herausforderung. Zumindest die jubelnde Schlussstrophe von Regers Choralkantate „Meinen Jesum lass ich nicht“ mit vierstimmigem Chorsatz über dem cantus firmus von Orgel und Gemeindegesang sowie umrahmenden Geigen- und Bratschensoli wird keiner so schnell vergessen, der dabei gewesen ist. Von den Choristen auch keiner die a cappella-Kantate "Singet dem Herrn ein neues Lied“ von Hugo Distler als größte Herausforderung, welche in den Konzerten so sauber wie in keiner Probe je zuvor gelang. Distler hatte diese Kantate 1934 als Antwort auf die Dominanz der Deutschen Christen in Lübeck komponiert. Die a cappella Motette von Duruflé „Ubi caritas“ und die orgelbegleitete Choralmotette „Gott, unser Schöpfer“ von Gardonyi rundeten das Chorprogramm wohltuend ab. Nach dem abschließenden, strahlend gesungenem Psalm 150 „Alleluja. Lobt Gott in seinem Heiligtum“ von Franck mit fulminanter Orgelbegleitung konnten die Konzertbesucher in der Umbaupause die Chorwerke nachklingen lassen, bevor mit der Sibelius-Sinfonie ein weiterer Höhepunkt kam.
Was wäre die Musikwoche ohne die kammermusikalischen und virtuosen Aufführungen bei den Morgenandachten, beim Hofkonzert für die Altenheimbewohner und zu unserer eigenen Freude beim legendären Bunten Abend? Den Bunten Abend zu beschreiben, würde den Bericht sprengen. Wir nehmen uns selbst auf die Schippe, singen, musizieren und lachen gemeinsam, es gab dieses Jahr sogar mehrere Uraufführungen. Und nach dem dreistündigen Programm kamen dann auch die Tanzwilligen auf ihre Kosten. Es ist für mich immer wieder eine Freude zu erleben, mit welcher Fantasie und mit welchem Können in all den Jahren ständig neue Beiträge verschiedenster Genres geboten werden. Und ich bin froh, als temporärer Rollstuhlfahrer dieses Mal auch selbst ein Scherflein dazu beigetragen zu haben.
Wie jedes gelungene Werk hat auch diese Musikwoche viele Väter und Mütter: neben dem multipotenten Organisationsteam um Thomas sind es vor allem die beiden musikalischen Leiter Christoph Sandmann und Katharina Reibiger mit ihren Assistenten, aber auch die Podestauf- und abbauer und -transportierer, die treuen Einzel- und Familienteilnehmer, die Heimleitung mit ihren Mitarbeitern, der Technikfreak und CD-/DVD-Produzent Micha, letztlich jeder von uns. Es ist prägend für unsere Musikwoche, dass sich jeder als Teil des Ganzen versteht. Nicht umsonst umarmten wir uns beim Abschied innig und sagten uns mit Überzeugung: "Wir sehen uns hoffentlich wieder im kommenden Jahr!"
Theodor Peschke